Weltweit gibt es rund 47 Mio. Menschen*, die an Demenz erkrankt sind. Für diese 47 Mio. Menschen Kommunikationswege zu finden, die ihnen den Alltag erleichtern, die ihnen helfen den Alltag sogar allein bewältigen zu können, ist ein wesentliches Bedürfnis.
Um ein demenzgerechtes Orientierungssystem zu entwickeln, muss zuerst klar sein, was Demenz ist. Wie zeigt sich diese Krankheit? Welche Folgen hat diese Krankheit? Wie können die Rezipienten auf, die ihnen dargebotene Orientierungshilfe reagieren? Was ist für sie auf Grund ihrer Krankheit nicht mehr möglich zu verstehen?
de = abnehmend, mens = Verstand; der abnehmende Verstand.
Demenz ist ein organisch bedingter Verlust von Fähigkeiten, die zuvor einmal vorhanden waren. Ein chronischer Verwirrtheitszustand. Es kommt zu Gedächtnisverlust, Wahrnehmungsstörung, Denkstörung, Desorientiertheit, Persönlichkeitsverlust und später auch zu körperlichem Abbau. Bei der Demenzerkrankung gibt nicht die EINE Demenz. Es gibt sehr unterschiedliche Formen und Ursachen. Die häufigste aller Formen ist die Alzheimererkrankung.
Warum es zu dieser Krankheit kommt, ist nicht ganz geklärt. Demenztypische Veränderungen beginnen schon im jungen Erwachsenenalter und nehmen dann ständig zu. Von Demenz spricht man erst dann, wenn ein Grossteil der Gehirnzellen zerstört ist. Wenn ein Mensch an Demenz erkrankt, wenn der geistige Abbau beginnt, fällt er zurück in die Prägungsphase, seine ersten Lebensjahre (bis ca. 25–30 Jahre) gewinnen wieder an Bedeutung.
Menschen mit Demenz leiden an Orientierungsstörungen, Orientierung in der Zeit, Orientierung im Raum, draussen und in Gebäuden, und das Bewusstsein der eigenen Person und ihrer Bezüge ist gestört. Beim Letzteren geht es vor allem um die Identität der Person: wer bin ich, wer sind meine Verwandten, wer befindet sich in meinem sozialen Netzwerk?
„Zu wissen wo ich bin, wo ich mich befinde, ist die Voraussetzung dafür, wohin ich mich zu bewegen habe, so oder so.“
Otl Aicher
Orientierung ist eine kognitive Fähigkeit – und genau das fällt Menschen mit Demenz schwer. Die räumliche Orientierung hilft uns, uns richtungsbezogen bewegen zu können. Neben unserer eigenen Orientierung werden uns oft Orientierungssysteme als Hilfestellungen angeboten, im Englischen auch Wayfinding-Systems. Durch diese Hilfestellung können wir unsere Umgebung schneller und einfacher erfassen.
Wie können Orientierungssysteme gestaltet und entwickelt werden, um demenzgerecht zu sein? Welche Farben, Formen, Schriften werden eingesetzt? Wie muss ein Orientierungssystem aussehen, um möglichst leicht für Menschen mit Demenz verstanden zu werden?
In Orientierungssystemen und allgemein in der Informationsvermittlung werden oft Bildzeichen, Piktogramme verwendet, wie z.B. Mann und Frau auf einer WC-Türe. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass manche Piktogramme erst gelernt – und somit wieder vergessen – werden können.
Bei Symbolen fehlt jede logische Verknüpfung zwischen dem Zeichen und der Bedeutung. Um ein Symbol richtig interpretieren zu können, muss die Kodierung gelernt sein. Das kann durch Wissen erfolgen, durch Erfahrung oder durch den kulturellen Background. Da ein Mensch, der an Demenz erkrankt ist, ja an Gedächtnisstörungen leidet, ist es sinnlos ein modernes Symbol zu verwenden.
Was sieht wohl ein an Demenz erkrankter Mensch, der die letzten 50 Lebensjahre vergessen hat, hinter einem Piktogramm für Toilette? Von heute in 80 Jahren können wir vielleicht einem an Demenz Erkrankten einen Facebook Like Button zeigen und er würde es verstehen. Im Laufe der Zeit ändert sich die Bedeutung, für die ein Zeichen steht. Um nun ein Zeichen demenzgerecht zu gestalten, muss an den Wissenstand der früheren Jahre angeknüpft werden, an die Jahre, an die sich der an Demenz Erkrankte noch erinnert, Zeichen, die in seinen ersten 25 Lebensjahren aktuell waren. So ist es oft einfacher, wenn man im Umgang mit Demenz ein Zeichen verwendet, das den gemeinten Gegenstand abbildet. Eine Toilette beispielsweise.
In der Gestaltung der Orientierungssysteme spielt vor allem die Leserlichkeit der Information eine grosse Rolle. Schrift als Informationsvermittler sollte fähig sein, Menschen zu erreichen, die an einer Alterssichtigkeit leiden.
Im Alter lässt die Elastizität der Linse nach. Sie wird härter und starrer. Eine Linse hat die Fähigkeit sich durch unterschiedliche Wölbung an Fern- und Nah-Sehen anzupassen. Dies ist im Alter immer schwerer. Auch die Muskulatur wird schwächer. So kommt es zu einer Verschiebung des Punktes, an dem man scharf sieht. Das Gesichtsfeld wird eingeengt.
Hier ist die Länge der Zeile, Zeilenabstand, Schriftgrösse, einfach gehaltenes Layout sehr wichtig. Um Informationen schnell zu erfassen ist es wichtig, dass sich Buchstaben leicht voneinander unterscheiden lassen. Mit Differenzierbarkeit sind die Deutlichkeit und Klarheit der einzelnen Buchstaben gemeint.
Die Laufweite sollte nicht zu eng sein. Zu eng stehende Buchstaben verkleinern die Entfernung, aus der ein Wort gelesen werden kann. Schriften mit offenen Punzen zu verwenden verhindert, dass Wörter von Weitem zulaufen und zu einem schwarzen Fleck werden. Schriften sollten eine gleichbleibende Linienstärke haben. Dünn auslaufende Buchstaben verringern die Entfernung, aus der ein Buchstabe gelesen werden kann. Schriften mit einer hohen x-Höhe können kleiner gesetzt werden, ohne die Leserlichkeit zu beeinträchtigen.
Bei Orientierungssystemen werden oft auch Farben eingesetzt, um Informationen voneinander zu unterscheiden bzw. zu gruppieren. Ein Mensch – abgesehen von der Demenz – ist nur bedingt fähig, sich Farben zu merken. Farbe ist eine subjektive Empfindung und ändern sich je nach Licht, Kontrast, Umfeld. Orientierungssysteme, die nur auf einem Farbsystem aufgebaut sind, funktionieren nicht. Sie müssten zuerst erlernt werden – und genau das ist bei Demenzkranken ja nicht möglich.
Der kognitive Abbau bei Menschen mit Demenz führt dazu, dass Fremdwörter, lange Sätze, komplexer Satzbau nicht verstanden wird. Einfache Sprache ohne abstrakte Redewendungen mit klaren Formulierungen sind einfacher zu verstehen. Demenzerkrankte haben auch Schwierigkeiten mit mehreren Anweisungen oder Informationen gleichzeitig – diese müssten ja für eine Abfolge gemerkt werden.
Auch für Raumnummern gilt das oben Gesagte: wie sollte sie ein Demenzkranker erlernen können? Wie soll er sich merken können, dass er in Zimmer 324 wohnt? Was helfen kann, ist der gleiche Ansatz wie beim Einsatz von Piktogrammen: das Darstellen von etwas, das möglichst nah an der Realität ist. Ein Foto zum Beispiel vom Zimmerbewohner an der Türe und ein Spiegel zum Vergleichen.
Orientierungssysteme für an Demenz Erkrankte zu entwickeln hört nie auf. Mit jeder Generation kommen neue Anforderungen und Veränderungen, die in den visuellen Gestaltungen beachtet werden müssen. Vielleicht auch neue Möglichkeiten, die es einfacher machen, demenzgerecht zu gestalten. Und hoffentlich neue medizinische Therapien, die das Leben von Demenzkranken verbessern!
leitform - Patrick Bayer
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